Kwartiermaken

Menschen mit psychischen Erkrankungen wilkommen heissen

Rezension Daniela B. Schmid Gastfreundschaft. Das niederländische Konzept Kwartiermaken, Psychosoziale Umschau

"Lohnt es sich ein zwanzig Jahre altes Buch noch mal herauszubringen? Ja, wenn die Idee immer noch trägt und die Realität diese Idee noch nicht eingeholt hat. (...) Und deshalb ist es gut, dass dieses wunderbar radikal konstruktivistisch anmutende Buch wieder lieferbar ist."

Lohnt es sich, ein zwanzig Jahre altes Buch noch mal herauszubringen? Ja, wenn die Idee immer noch trägt und die Realität diese Idee noch nicht eingeholt hat. In ihrem Buch ist Doortje Kal theoretisch und praktisch auf der Suche danach, wie eine Ethik entstehen kann, die zu »Respekt sowie bürgerschaftlichem und professionellem Engagement für das Anderssein des anderen anregt« (S. 19). Praktisch geht es um das Projekt »Kwartiermaken«, das in den Niederlanden und in Belgien verbreitet ist und wozu Doortje Kal ihre Dissertation geschrieben hat. Das Buch beruht auf dieser Arbeit. »Kwartiermaken« bedeutet
wörtlich »die Vorbereitung eines Aufenthaltsortes für eine Gruppe von Nachkömmlingen«. Robin Boerma, der sich seinerzeit für die Übersetzung des Buches aus dem Niederländischen eingesetzt hat, schreibt dazu in seinem Vorwort: »Kwartiermaken ist das Arbeiten an Gastfreundschaft, Gastfreundschaft bedeutet eigentlich, eine Fremde willkommen zu heißen, ohne sie zu kennen« (S. 18).
Doortje Kal beschreibt schon im Vorwort sehr treffend und einfühlsam, was es heißt, Menschen in verletzlichen Lebenssituationen gastfreundlich willkommen zu heißen und zu unterstützen: Sie müssen eingeladen und ermutigt werden, ihre Wünsche zu formulieren. Eine Möglichkeit, Respekt zu erfahren und
zu lernen, sind Multilogtreffen. Wir erfahren von der Wichtigkeit der narrativen Annäherung und der Rolle des Zuhörens. Der Multilog beginne immer mit Fragen: Was erfahren Menschen, die psychisch leiden? Was hilft und was nicht? Wer sich an den Trialog erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch, nur sind hier die Bürgerinnen und Bürger immer einbezogen. Wir erfahren bücher und medien | 45 von trägen Fragen nach Ausgrenzungserfahrungen und Sinnhaftigkeit, die virulent gehalten werden müssen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Vor allem in Fragen der Verletzlichkeit müssen die Bürgerinnen und Bürger sensibilisiert werden.
Theoretisch baut das Buch auf zahlreichen Studien und Forschungsprojekten auf und greift auch auf feministische Literatur zurück, z. B. von Luce Irigaray, die Raum für den fremden Anderen fordert, oder Simon de Beauvoir, die sich gegen die Betonung der Verschiedenheit sträubte.
Praktisch gibt es viele handfeste Vorschläge für die Arbeit im Sozialraum. So bekommen Psychiatrieerfahrene Freunde an die Seite, die sie als Buddys begleiten, dieser Freundschaftsdienst ist ein Weg, Raum zu schaffen, dem Fremden Gastfreundschaft zu bieten. Es werden z. B.
auch in Wohnprojekten Sorgenanlaufstellen etabliert, mit dem wichtigsten Hintergrund, Räumungsklagen zu vermeiden, damit keiner mit seiner Angst, obdachlos werden zu können, allein bleibt. All das sind Erfahrungen, die aufzugreifen sich heute noch lohnt. Wir lesen von der Sehnsucht der Patienten, »ein Mitglied der Welt« zu werden (S. 66ff), und wir sehen, dass dies noch immer nicht der Fall ist. Und deshalb ist es gut, dass dieses wunderbar radikal konstruktivistisch anmutende Buch wieder lieferbar ist.
Daniela B. Schmid, Meersburg

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